Der erste vollelektrische Staat? China ist auf dem Weg zur Energie-Dominanz
Lange hat sich das Bild von China als größter Verschmutzer der Welt in Europa gehalten. Das ändert sich gerade.
Peking – Während in Europa über Klimaziele gestritten wird und der Ausbau erneuerbarer Energien vor immer neuen Hürden steht, wird in China ungebremst an der 2014 von Präsident Xi Jinping ausgerufenen Energie-Revolution weitergearbeitet. 2016 legte die Kommunistische Partei in China ein Strategiepapier vor, das als Roadmap für die Energiewende bis 2030 dienen sollte. Jetzt, elf Jahre nach der Ausrufung, ist China zu einem Vorreiter der Energiewende geworden – und hat sich strategisch in Stellung gebracht.
Kohle weiter wichtig in China – doch die Bedeutung von Solar und Wind nimmt stetig zu
Nach wie vor ist Kohle der wichtigste Energieträger im Reich der Mitte. 2022 hat Kohle nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) 61 Prozent des Energieverbrauchs ausgemacht. An zweiter Stelle kam Öl, gefolgt von Gas. Doch das ist gerade dabei, sich schlagartig zu ändern. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien erfolgt rasant: zwischen 2015 und 2023 ist die Kohleverstromung um zehn Prozent gesunken, während der Strombedarf im Reich der Mitte im selben Zeitraum von etwa 4 Megawattstunden pro Kopf auf 6 MWh pro Kopf gestiegen ist. Das ist nur möglich, indem Erneuerbare für den Mehrverbrauch aufkommen.
Das zeigen auch Daten der Energiedatenbank Ember: Alleine zwischen 2022 und 2023 ist der Stromverbrauch in China um 6,7 Prozent gestiegen, das waren 606 Terawattstunden zusätzlich, die die Chinesen an Strom gebraucht haben – mehr als Deutschland in einem Jahr insgesamt braucht (2024: 516 TWh). Diese 606 TWh wurden in China zu 46 Prozent durch Wind und Solar gedeckt, Biomasse und Atomkraft waren dann noch für 7,4 Prozent verantwortlich. Über die Hälfte des Mehrbedarfs wurde also aus erneuerbaren Quellen gedeckt, die andere Hälfte kam aus der Kohleverstromung.

Die Experten bei Ember sehen darin eine wichtige Trendumkehr. „Wenn dieser Trend anhält, erreicht China sehr bald einen kritischen Wendepunkt“, heißt es in dem Report über China. „Dann wird eine neue Ära, in der Kohleverstromung an Bedeutung verliert, beginnen.“ Auch die IEA geht davon aus, dass 2025 der Höhepunkt des Kohlestroms in China erreicht sein wird. Erwartet wird, dass im Jahr 2028 über 50 Prozent des Stromverbrauchs in China aus Erneuerbaren kommt.
Elektroautos, Industrie, Schiene: China baut die Elektrifizierung aus
Dass erneuerbare Energien in China offensichtlich an Bedeutung gewinnen, liegt auch an der Transformation, die im Land stattfindet. So kommt die Elektrifizierung in China an vielen Stellen voran, während Europa und die USA eher stagnieren. Am offensichtlichsten ist das im Verkehr: 2025 wird erwartet, dass in China erstmals mehr Elektroautos als Verbrenner verkauft werden. Zwischen 2022 und 2025 soll sich nach Angaben der Financial Times die Zahl der E-Auto-Verkäufe verdoppeln – auf 12,5 Millionen.
Aber auch in anderen Bereichen kommt die Elektrifizierung voran: Über 30 Prozent der Energie in der Industrie ist laut IEA zum Beispiel verstromt, ungefähr gleichauf mit Europa, während die USA bei 25 Prozent liegen. Und auch die Schiene gewinnt an Bedeutung: Laut der FT ist das Schienennetz in China fünfmal so groß wie das in Europa – deshalb beeindruckend, weil die erste Schnellzugverbindung im Land erst 2003 in Betrieb ging und das Netz nun 45.000 Kilometer umfasst.
Gleichzeitig hat China massiv in den Netzausbau investiert – laut FT werden es bis 2030 ganze 800 Milliarden Dollar sein – sodass der Strom aus PV- und Windanlagen zwar oft im Norden oder Westen des Landes gebaut werden, aber auch gut bis in den Südosten transportiert werden können, wo die großen Häfen und Industriewerke sind.
China macht sich mit erneuerbaren Energien unabhängig vom Rest der Welt
All das und mehr hat China strategisch seit der Ausrufung der Energierevolution durch Xi im Jahr 2014 verfolgt. Dabei sind die Klimaziele nicht an oberster oder wichtigster Stelle für Peking. Vielmehr ist es der Wunsch nach Energieunabhängigkeit, der den Ausbau im Reich der Mitte vorantreibt. Ökonomen sprechen hier von „De-Risking“, also der Minimierung von Risikofaktoren, die eine Bedrohung sein können. Aus Sicht von Xi und seiner Regierung war die Abhängigkeit von Öl aus dem Ausland ein Problem.
Denn China verfolgt auch geopolitische Ziele und will, sollte Peking jemals entscheiden, zum Beispiel Taiwan anzugreifen, nicht in die Russland-Falle tappen. Die Sanktionen auf russisches Öl und Gas im Zuge des Angriffskriegs auf die Ukraine haben Russlands Wirtschaft verkrüppelt; diesen Fehler will Peking nicht begehen. Auch hat sich China schon frühzeitig kritische Rohstoffe für die Energiewende unter den Nagel gerissen und die relevanten Industrien für die Elektrifizierung massiv gefördert.
Deutschland ist in einigen Bereichen von China abhängig
Das hat schon massive Konsequenzen für die deutsche bzw. die europäische Wirtschaft gehabt: Die europäische Solarindustrie existiert so gut wie gar nicht mehr, die meisten Solarzellen in Europa werden in China hergestellt. Diese Abhängigkeit versucht China nun mit Elektroautos zu reproduzieren – die EU wehrt sich aber. Bei der Batterietechnik ist China auch schon der globale Vorreiter.
Ob und wann China wirklich der erste vollelektrische Staat sein wird, ist noch unklar. Bis 2060 will Peking klimaneutral sein; wenn die Ausbauziele so weiterverfolgt werden wie bisher, könnte dieses Ziel auch schneller erreicht werde.